Was Aby Warburg mit Marion Knaths zu tun hat
Arts
Kunst ist geronnene Weltwahrnehmung. Alltags- und Transzendenzerfahrungen, Erdachtes und Phantasiertes materialisieren sich in Bildern und Bildwerken. Einer der Ersten, die über diese Ursachen der Kunst forschte, war Aby Warburg (1866-1929). Auf den ersten Blick scheint er sich gerade nicht mit solchen lebensnahen Fragen befasst zu haben, galt sein Lebensthema doch dem „Nachleben der Antike“ zum Beispiel in der Renaissance. Jedoch fußen die antiken Bildmuster (Warburg fand dafür den Begriff der „Pathosformel“) auf jenen anfangs genannten realen und imaginierten Erfahrungen. Anscheinend gibt es menschliche Erfahrungen, die nach 2.500 Jahren noch nachvollziehbar, gewissermaßen aktuell sind. Ein Schüler Warburgs, Erwin Panofsky, war deshalb in der Lage, die Kühlerfigur des Rolls Royce mit zwölf Jahrhunderten angelsächsischer Kultur zu verbinden.[1] Astronomen sind immer noch auf der Suche nach Zeitreisen erlaubenden Wurmlöchern, die in der Kunstgeschichte seit gut 100 Jahren genutzt werden. Schon ein Zeitgenosse Warburgs, Maurice Halbwachs, relativierte allerdings die von Warburg entwickelte Absolutheitsvorstellung. Halbwachs beschreibt, dass Gedächtnis und Erinnerung kontextabhängig funktionieren, „sozial“ sind. Mithin bedeutet ein und dasselbe Kunstwerk in unterschiedlichen Gesellschaften (und Zeiten) nicht ganz dasselbe; jedes Individuum gibt ihm darüberhinaus situationsabhängig changierende Bedeutungen.[2]
Als posthumes Hauptwerk Warburgs erwies sich sein unvollendeter „Mnemosyne-Atlas“. Auf dessen nur in Fotografien überlieferten Tafeln kombinierte er Reproduktionen allerlei Bildmaterials, von antiken Kunstwerken bis hin zu aktuellen Zeitungsfotos; wobei sein Schwerpunkt auf der Renaissancekunst lag. Er fand originelle Verbindungen und etablierte sein „Prinzip der guten Nachbarschaft“, das er auch in der Aufstellung seiner Bücherei praktizierte: Je nachdem, in welcher Umgebung sich Dinge befinden, wird ihre Bedeutung beeinflusst.
In der Ausstellung „The problem of God“, die bis zum 24.01.2016 im Düsseldorfer K21 gezeigt wurde, waren unter anderem Bildtafeln aus Warburgs Mnemosyne-Atlas zu sehen. Nicht nur in ihnen waltete das „Prinzip der guten Nachbarschaft“, in einer solchen befanden sie sich auch in der Ausstellung selber, weil Warburgs Zusammenstellungen religiöser Bilder seit der Antike die religionsbezogenen zeitgenössischen Kunstwerke dialogisch ergänzten.
Meet
Lassen Sie uns das Phänomen auf den Businesskontext übertragen.
Business
Ein Betrachter setzt Dinge in Bezug, die nebeneinander wahrgenommen werden. Das Arrangement beeinflusst die Art und Weise, wie Wirklichkeit konstruiert wird.
Sich der Wirkung der unmittelbaren Nachbarschaft bewusst zu sein, und sie ggf . aus taktischen Erwägungen bewusst zu nutzen, kann auch im Business von Wert sein.
Wirkung im Außen
Marion Knaths empfiehlt Frauen in ihrem Buch „Spiele mit der Macht“[3], die Nähe von Ranghöheren zu suchen. In Meetings sollte Frau sich möglichst nahe der Person setzen, die in der Organisation die meiste Macht hat. Gleiches gilt für den Gang über den Flur, die Platzierung in der Kantine usw. Die unmittelbare Nähe zu ranghohen Organisationsmitgliedern erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Beobachter Rückschlüsse ziehen, und es besteht die begründete Aussicht, dass der Einfluss der Hierarchie abstrahlt.
Diesen Empfehlungen zu folgen mag banal erscheinen. Der Netzwerktheorie nach sind Menschen, die sich gezielt mit gut vernetzten und damit einflussreichen Personen umgeben, einflussreicher und wirksamer, als Personen, die sich rein von Sympathie leiten lassen.
Nicht von ungefähr taucht die Empfehlung in einem Buch auf, das sich in erster Linie an Frauen richtet, weil die bewusste Schaffung einer machtvollen Nachbarschaft eine Genderdimension zu haben scheint.
Wirkung im Innen
Auch innerpsychisch ist die von Aby Warburg veranschaulichte Wirkung nicht zu unterschätzen. Es heißt nicht umsonst, dass sich Ehepaare im Laufe des Lebens immer mehr angleichen. Mit anderen Worten: Wir scheinen uns im Laufe der Zeit unserem Umfeld immer mehr anzupassen, gleichen uns in Werten, Sichtweisen, Interpretationen unserer Umwelt an, um dazuzugehören und Kohärenz zu erfahren.
Vor diesem Hintergrund lohnt es sich, die Frage zu stellen:
Wer bildet mein „Umfeld“ in der Organisation, in der ich viel Zeit verbringe, wenn Informationen ausgetauscht und gedeutet werden? Von wem lasse ich mich „beeinflussen“, wenn organisationale Veränderungen interpretiert werden? Sind es Menschen, die differenziert wahrnehmen und Entscheidungen von einem distanzierten Standpunkt aus beschreiben können oder bestätigt man sich, wie unverständlich das Management agiert? Im ersten Fall neutralisiert die unmittelbare Nachbarschaft, im letzteren birgt sie die Gefahr, gemeinsam in eine Problemtrance abzurutschen.
[1] Erwin Panofsky: The Ideological Antecedents of the Rolls-Royce Radiator, in: Proceedings of the American Philosophical Society, Bd. 107, Nr. 4 (15. August 1963), S. 273-288.
[2] Ausführlicher wird diese Problematik hier beschrieben: Christoph Danelzik-Brüggemann: Ereignisse und Bilder: Bildpublizistik und politische Kultur in Deutschland zur Zeit der Französischen Revolution. Berlin: Akademie 1996 (Acta humaniora), ISBN: 3-05-002650-2, S. 34-42.
[3] Marion Knaths: Spiele mit der Macht. Wie Frauen sich durchsetzen. München: Piper 112014, ISBN: 978-3-492-25250-8.